Heute hatte ich das Vergnügen, den Space Shuttle Astronauten Mike Mullane auf der STPCon 2009 kennenzulernen. Die STPCon ist eine Testkonferenz und Mike wurde eingeladen, um aus Sicht eines Astronauten Motivation zum Thema Testen zu versprühen. Man kann sich ja durchaus vorstellen, dass die NASA eventuell Sachen vorher ausprobiert, damit es dann erfolgreich fliegt.
Mike erzählte wunderbar, wie man als Astronaut lernen muss, die Toilette zu treffen, wie er zu NASA gekommen war, wie die Flugcomputer des Shuttles grob funktionieren usw. Aber der eigentliche Kern seiner Rede war Normalization of Deviance und es klang zunächst überhaupt nicht nach Testen.
Er erklärte uns verständlich, wie die Normalisierung von Abweichungen bzw. treffender die Gewöhnung an Abweichungen schlussendlich zu Katastrophen führt. Im Fall der NASA zu Unglücken, wie der Explosion des Challenger-Shuttles 1986.
Der Grund für das Unglück lag in einfachen Gummidichtungen (O-Ringe). Diese Ringe dichten die Feststoffraketen-Segmente ab. O-Ringe dürfen nicht porös werden und niemals mit Hitze in Kontakt kommen, denn das Innere der Rakete brennt aus und die Flamme darf nur nach unten und niemals zur Seite entweichen.
Der Hersteller entdeckte sehr zeitig, dass die Dichtungsringe mit Brandspuren von den Flügen zurückkehrten und alarmierte die NASA, da laut Vorschrift und Spezifikation niemals ein Ring mit Flammen in Kontakt kommen durfte. Da die NASA zu dieser Zeit unter extremen Druck stand, hat man das Problem verzögert, ignoriert und heruntergespielt. Immer mehr Flüge kamen mit immer mehr Schäden zurück, aber da bisher nichts passiert war, hielt man das Problem für hinnehmbar, obwohl die ursprüngliche Spezifikation und alle Warnungen des Herstellers andere Dinge erzählten.
Jeder Flug ohne offensichtliche Probleme, aber mit beschädigten Ringen, war quasi die Bestätigung der Abweichung. “Eigentlich haben wir doch kein Problem.” “Ist schon nicht so schlimm, ging doch bisher.” Am 28. Januar 1986 trat dann genau die Situation ein, die viele vorhergesagt hatten. Ein Techniker hatte sich nur um 73 Sekunden geirrt. Er hatte die Explosion am Boden erwartet.
Mit diesem drastischen Beispiel menschlicher Gewohnheit, hat er sehr schön einen unserer typischen Fehler vorgeführt, denn wir nehmen oft unter Druck Abkürzungen und gewöhnen uns dann daran, weil es ja gut ging. Jede erfolgreiche Abkürzung wird zur Bestätigung der Abkürzung, weil ja nichts passiert ist.
Für uns Tester heißt das übertragen, dass ein aus Zeitgründen ausgelassener Test wohl auch beim nächsten Mal ausgelassen wird bzw. man uns dazu “zwingt”, darauf zu verzichten, weil beim letzten Mal ja alles in Ordnung war.
Am Ende des Vortrages habe ich dann sein Buch Riding Rockets erworben, es widmen lassen und ihm die Hand geschüttelt, denn er hat Recht. Wir gewöhnen uns viel zu oft an unsere Ausnahmen und Abkürzungen… bis es eines Tages zu spät ist. In seinem Geschäft wird das dann eine Meldung in den Abendnachrichten. Glücklicherweise ist es in unserem Geschäft meist “nur” ein finanzieller Verlust.